Ist das Kunst oder kann das weg?

Was am Ende eines Lebens übrig bleibt, was sich so in Schubläden, hinter Schränken und auf Dachböden verbirgt, sagt vieles über die einstigen Besitzer aus. Mirko und Sven sind Entrümpler aus Passion. Denn der Frage »Wie lebt der Mensch?« kommt man beim Auflösen eines Haushalts ein ganzes Stück näher. Als erfahrene Entrümpler haben sie einen untrüglichen Blick für die Gegenstände und die Atmosphäre eines Hauses, sie setzen aus Fragmenten Lebensbilder zusammen. In einer Welt des Überflusses retten die beiden kleine und große Schätze, Dinge einfach wegzuwerfen kommt für sie nicht infrage.

„Die Entrümpler“

„Ich bin Entrümpler und liebe meinen Beruf“

Entrümpler kümmern sich um das, was am Ende eines Lebens übrig bleibt. Sie gehen in die verlassenen Zimmer von Pflegeheimen, in Wohnungen, Häuser und Familienanwesen, wenn niemand mehr da ist. Oftmals können oder wollen Hinterbliebene und Erben die anstehenden Aufgaben nicht übernehmen.

Erfahrene Entrümpler haben einen untrüglichen Blick für die Gegenstände und die Atmosphäre an ihren Einsatzorten. Sie beginnen mit dem Sortieren der Hinterlassenschaften und haben Zugang zu Geheimnissen, Verstecken und Peinlichkeiten. Gute Entrümpler zeigen Mitgefühl und legen Diskretion an den Tag.

Der passionierte Entrümpler Mirko löst seit zehn Jahren Haushalte auf. Hinter dieser Aufgabe verbirgt sich ein Geflecht aus Empathie, Seelentrost, Fingerspitzengefühl und der Rettung von Lebensgeschichten und Dingen vor einem Ende im Müllcontainer.

In einer Welt des Überflusses und der Besitztümer, die ein Mensch im Laufe des Lebens angesammelt hat, und die er als Verstorbener der Nachwelt hinterlässt, rettet Mirko kleine und große Schätze.

Inmitten einer Wegwerfgesellschaft sträubt sich der Entrümpler dagegen Dinge einfach wegzuwerfen. Der  Müllcontainer kommt bei ihm nur für Müll zum Einsatz. Sein Antrieb kommt aus einem ökologisch-sozial geprägtem Denken und Fühlen.

„Man muss nicht etwas wegschmeißen, bloß weil man es nicht mehr haben will. Man kann ja schauen, ob jemand anderer es haben möchte. Es ist meine Philosophie: Möglichst wenig wegwerfen, sondern andere Menschen damit erfreuen“, sagt Mirko, der von seinem Beruf auf eine unkonventionelle Art leben kann.

„Fast alles, was ich brauche, finde ich in den Haushalten, die ich auflöse, oftmals sogar Unmengen an Vorräten. Geld benötige ich nicht viel. Und das Schöne ist: Es geht in diesem Leben nicht nur um Geld! Wenn ich eine Durststrecke durchlebe, dann verkaufe ich etwas.“

Mirkos Geschichten lassen den Leser begreifen, dass Entrümpeln zu den vielseitigsten Aufgaben in unserer Konsumgesellschaft gehört. Facettenreich wie kaum ein anderer moderner Beruf gewährt Mirko Einblicke in seine Welt, die mitten unter uns ist und den meisten Menschen trotzdem weitgehend unbekannt bleibt. Der Profi offenbart seine erstaunlichen Erkenntnisse und stellt sie in kurzweiligen Anekdoten dar. Seine Aussagen und Erzählungen sind überraschend und jeder Satz macht umso neugieriger. 

Entrümpler sind Kulturfoscher

Wie lebt der Mensch? Diese Frage beschäftigt Generationen von Wissenschaftlern verschiedenster Fakultäten. Beim Auflösen von Haushalten zeigt sich dem Entrümpler das Lebensbild eines Menschen und zudem ein Spiegel unserer  Gesellschaft. Mirko blickt hinter die Kulissen der Wohnstätten, in die Schubladen und hinter die Schränke seiner Kunden. Er räumt Kellerregale und Dachböden aus. Wie haben sich die Bewohner ernährt? Welche Hobbys und Sportarten haben sie ausgeübt und welche Leidenschaften gepflegt?

Manchmal finden sich kuriose Dinge, deren Funktionen selbst einem erfahrenen Entrümpler unbekannt sind. Einmal war es ein seltsames Fass, das man offenbar auch beheizen konnte. Nach wochenlangem Rätseln bot Mirko es auf dem Flohmarkt an, denn er weiß genau: Dort ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand auftaucht, der weiterhelfen kann. Damit röstete man früher Kaffee!

Auf dem Dachboden eines ehemaligen Olympiasiegers im Radsport fanden sich Fahrräder aus Kriegszeiten, deren Technik heute sogar von Billigrädern übertroffen wird. Für Mirko waren es besondere Fundstücke, die ihm eine Geschichte erzählten.

Im Haus eines verstorbenen Grafikers fanden sich Entwürfe für Werbekampagnen großer Konzerne: In Mirkos Augen sind es Designjuvelen der  Fünfziger- und Sechzigerjahre.

Mirko ist Tierliebhaber und hat ein spezielles Verhältnis zu Pelzen, die sich bei vielen Haushaltsauflösungen finden. Als Kunden akzeptiert er allenfalls Menschen aus eisigen Gefilden, die diese Kleidung zu ihren Verwandten in die Heimat schicken. Dort braucht man Pelze! Jedoch lehnt er sie als Luxuskleidungsstück strikt ab und möchte damit kein Geld verdienen.

Lieber sind ihm alte Puppenkleider, liebevoll von Hand genäht. Dafür finden sich immer  Abnehmer, die sich daran erfreuen und zudem einen guten Preis zahlen.

Mechanische Strickmaschinen, Strickmuster und Strickentwürfe, die oftmals Jahrzehnte auf Dachböden verstaubten, warten nur auf Liebhaber. Sie sind viel zu schade, um im Müll zu landen.

Erstaunlich oft finden sich im Nachlass Hinweise auf den Glauben der ehemaligen Besitzer. Besonders dort, wo man es nicht vermutet hat. Die Bibel im Nachtschrank ist ohnehin weit verbreitet und nicht selten bestückt mit persönlichen Briefen oder Geld. Doch auch im Verborgenen zeugen Gegenstände von der Religiosität der Bewohner. Insbesondere in den wohlhabenden Schichten sind private Schränkchen, Schubladen und Kämmerchen nicht nur mit Tagebüchern gefüllt, sondern auch mit Rosenkränzen und zahlreichen Reliquien des Glaubens.

Andere Gegenstände sollten wohl eher nicht gefunden werden. Da ist oftmals Diskretion gefragt. Einiges davon landet auf Flohmärkten unterm Ladentisch. Sexfilme aus den Siebzigern mit primitiver Technik gefilmt, werden dort regelmäßig nachgefragt.

Entrümpler sind Historiker

Meistens dauert es nicht lange, bis Mirko in einem Haushalt Geschichten und Geheimnisse entdeckt. Der Entrümpler hat eine Passion: Er möchte Geschichten und Geschichte auf den Grund gehen! Und so sortiert er persönliche Fragmente, hebt sie auf und schaut sie sich später im Lagerraum oder der heimischen Wohnung genauer an.

Eine Uniformmütze aus der Nazizeit, ein Foto, ein Brief, Feldpost: Und schon wird der Verstorbene wieder lebendig: Als Pilot einer Fliegerstaffel war er abgeschossen worden, lange vermisst und später wieder aufgetaucht.

Eine verstorbene Jüdin aus einer hochherrschaftlichen Stadtwohnung hatte den zweiten Weltkrieg als getarnte Arierin überlebt. Beim Entrümpeln entdeckte Mirko geheime Verstecke, die seit Jahrzehnten unberührt waren. Aus vermauerten Nischen tauchten diverse Identitäten der Verstorbenen auf.

Ein Kommunist mit engen Kontakten in die DDR war vom Verfassungsschutz verfolgt worden und führte ein Doppelleben.

Fragmente setzt Mirko wie Puzzleteile zusammen und lässt manchmal ein ganzes Bild entstehen. Dafür reißt er sogar Müllsäcke wieder auf und sucht nach Hinweisen auf das Leben der Verstorbenen, die andere übersehen haben, oder nicht sehen wollten. So stößt er auf spannende Geschichten und erhält ein Lebenswerk, anstatt es zu entsorgen. Seine Studien halten ihn nicht selten von der eigentlichen Arbeit ab. Nicht umsonst führt Mirko ein eher unkonventionelles Leben mit einer ebenso unkonventionellen Einstellung zum Thema Zeit. 

Entrümpler sind Soziologen, Sozialarbeiter und Therapeuten

Mirko entrümpelt nicht nur, sondern organisiert auch Umzüge, besonders wenn es schnell gehen muss. Er hat den Ruf in Konfliktfällen sensibel einzuschreiten. Seine kräftige Erscheinung und die Hilfe seines ebenso kräftigen Compagnons Willie können manchem Auftrag einen gewissen Nachdruck verleihen. Ob es um zerrüttete Ehen und die Flucht der Ehefrau vor einem potentiellen Gewalttäter geht, oder um die Bewahrung des Friedens bei drohender Kindesentführung: Mirko und Willie haben bereits Einiges erlebt.

Entrümpler machen zwangsläufig einschlägige Erfahrungen mit Erbschleichern. Bei wohlhabenden Verstorbenen tauchen zur Haushaltsauflösung gern sogenannte Freunde auf, die von gehortetem Schmuck und Bargeld wissen. Solch ein Besuch steht nicht selten in der Tür, selbst wenn rechtlich geklärt ist, dass nur noch der Entrümpler über die Schlüsselgewalt verfügt. Auch hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Manchmal lässt sich mit den Freunden des Verstorbenen noch über die Herausgabe einzelner Gegenstände verhandeln, aber oft ist einzig Durchsetzungsvermögen gefragt.

Schwieriger sind Haushaltsauflösungen, wenn alte oder kranke Menschen in ein Pflegeheim gehen und ihren ehemals großen Haushalt plötzlich auf ein einziges Zimmer beschränken müssen.

Ein Kapitän im Ruhestand war erleichtert, als seine vielen Schätze aus den Weltmeeren durch Mirko in die richtigen Hände gelangten.

Unzählige Tagebücher sind so durch Mirko’ Hände gegangen. Manchmal weiß er am Ende mehr über eine Familie, als sie selbst. Ob es sich um uneheliche Kinder, Treuelosigkeit oder geheime Leidenschaften handelt: Nach dem Tod kommt manche Geschichte ans Licht. Oftmals ist Pietät gefragt.

Selbst Haushaltsauflösungen und Nachlässe mit einem Auftraggeber aus Übersee hat Mirko bewältigt. Hier war Vertrauen gefragt, damit Dinge nicht in falsche Hände geraten. Am Telefon war der Kontakt entstanden, Vertrauen entwickelt und Abmachungen getroffen worden. Der Entrümpler traf beim Nachlass die Auswahl nach seinem Gefühl: In Container verstauen und nach Kanada verschiffen, verkaufen, verschenken oder entsorgen! Am anderen Ende der Welt musste der Auftraggeber sich auf ihn verlassen. Solche Aufträge erhalten Entrümpler nur bei entsprechend guter Reputation. Mirko hat sie sich erarbeitet.

Es ist Ehrensache, dass Eheringe, Familienschmuck und andere ideelle Werte gesondert gelagert und übergeben werden.

Manche Hinterbliebenen sind interesselos oder nicht vor Ort. Andere Erben sind überfordert mit der Arbeit des Auflösens einer Wohnung, eines Hauses, eines ganzen Lebens. Manche sind in ihrer Trauer gelähmt und außerstande auszusortieren, was vom Leben übrig geblieben ist. Manche mögen sich nicht trennen und kontaktieren die Profis, wenn sie einsehen, dass sie der Aufgabe des Entrümpelns nicht gewachsen sind. Und so nehmen sich Entrümpler wie Mirko der Dinge an, die sie nicht anrühren mögen.

„Es macht Sinn, dass jemand anderer diese Arbeit übernimmt“, sagt Mirko, „es muss einen Totengräber geben, genauso wie einen Bestatter. Und es muss auch Entrümpler geben! Denn das Leben geht weiter.“

Mirko ist ein Menschenfreund. Wenn er spürt, dass eine Haushaltsauflösung einen Hinterbliebenen besonders schwer belastet, dann ist er Tag und Nacht für ihn erreichbar. Insofern sind Entrümpler auch Seelsorger.

Wenn bei den Hinterbliebenen jedoch kein Interesse besteht und sie Lieblosigkeit zeigen, dann tut es Mirko besonders weh, wenn am Ende alles in einem Müllcontainer landen soll. Da nimmt er sich lieber der Dinge an und fahndet nach Geschichten.

Entrümpler sind Logistiker

Die praktische Seite des Berufes zeigt sich an vielen Stellen. Wie wird gepackt? Diese Frage ist entscheidend und kann nicht nur über Bandscheibenschäden und Leistenbrüche entscheiden, sondern sie bedeutet sogar bares Geld.

Wenn Mirko bei Haushaltsaulösung einen (teuren) Müllcontainer bestellt, dann füllt er das vorhandene Maß optimal aus. Sein Container wiegt manchmal das Dreifache des üblichen Gewichts, wie die Verleiher beim Abholen oft beklagen.

Er hält die Kosten für seine Arbeitsstunden (beim aufwändigen, aber platzsparenden Verstauen) den Kosten für die Containermiete (beim raschen Hineinschmeißen mir sehr viel Luft) entgegen. Kubikmetermiete versus Stundenlohn!   

Zahlen sind Mirko‘ Freunde. Er weiß am Ende eines Tages genau, ob er 3000 oder nur 2900 Treppenstufen bewältigt hat, und wie viele Kilos oder gar Tonnen Gewicht er bewegt hat.

Im Stillen führt er seine ganz persönliche Statistik. Entrümpeln ist eine fachspezifische Arbeit für Profis! Manche Amateure erkennen das bereits beim Keller ausräumen.

Entrümpler sind Fotografen, Handwerker und Techniker

Man muss seine Ware optisch gut anbieten können! Nicht anders als ein Möbelhaus, präsentiert Mirko seine Waren auf Fotos, inklusive aller Maße und Besonderheiten. Mirko hat ein Lager für Dinge, die er nicht aus der Haushaltslösung heraus verkaufen kann. Potentiellen Kunden im Lager kann er anhand der Aufnahmen zeigen, wie ein auseinander gebautes Möbelstück im Original aussieht.  Denn wenn ein Schrank erstmal abgebaut ist, kann man sich kaum vorstellen, wie er im kompletten Zustand wirkt.

Fotos benötigt er auch für die Darstellung bei Ebay.

Besonders in gehoben eingerichteten Haushalten, kommt vor dem Entrümpeln das Fotografieren. Manchmal reisen Kunden von weit an, weil sie Interesse an speziellen Möbeln aus den 50ziger oder 60ziger Jahren haben.

Selbstverständlich müssen Entrümpler auch Handwerker und Techniker sein. Wie man einen Schrank demontiert, ihn verstaut und wieder aufbaut, ohne etwas zu beschädigen, gehört für Mirko zu den Handgriffen, bei denen Laien den Verstand verlieren.

Im Extremen kommen seine handwerklichen Fähigkeiten zur Geltung, wenn er ein ganzes Haus auflöst. Bei einer vollständig eingerichteten Villa aus den dreißiger Jahren blieb am Ende kein Nagel mehr in der Wand. Besenrein wurde sie nach wochenlangen Arbeiten übergeben.

Doch die Arbeit ist noch lange nicht erledigt, wenn das Haus/die Wohnung leer geräumt ist und die Tür ins Schloss fällt. Dann beginnen die eigentlichen Aufgaben des Entrümplers erst.

Entrümpler sind Marktkenner, Wirtschaftsexperten, Kaufleute, Händler und Zwischenhändler

Bei einer Entrümpelung wird das Geld nicht dadurch verdient, dass man die praktische Arbeit bezahlt bekommt, sondern durch das wertgetreue Weitergeben der Gegenstände. Das gilt für den Fünfzig-Cent-Artikel genauso wie für ein komplettes Schlafzimmer.

Mirko weiß, wo sich der Markt für welchen Gegenstand befindet.

Ob es sich um Porzellan, edle Stoffe, Steiff-Puppen, Münzen oder Schallplatten handelt.

Es gibt für alles einen Markt!

Wenn er einige Tausend Schallplatten gesammelt hat, dann bringt er sie zu einem Händler, der sie ihm für 10 Cent das Stück abkauft. So muss er sich nicht die Mühe des Sortierens machen und Käufer finden. Außerdem gehören Schallplatten zu den schweren und unhandlichen Dingen.

Genauso wichtig ist es zu wissen, zu welchem Zeitpunkt sich was anbieten lässt. Bei Minusgraden macht es keinen Sinn, Gläser auf dem Flohmarkt zu präsentieren. Sie sind dann zu kalt zum Berühren, und bei edlen Weinkelchen ist die Haptik entscheidend. Diese Ware bleibt dann im Lager. Bei feuchtem Wetter nimmt Mirko keine Bücher mit. Weniger erfahrene Anbieter machen Verluste durch falsche Handhabung.

Mirko braucht zudem ein Gespür für die Lage der Nation im übertragenen Sinne. Er muss wissen, wann das Geld locker sitzt, um hochpreisige Waren anzubieten.

Mirko bedauert es, dass viele schöne Dinge nicht bei den potentiellen Käufern landen: Denn sein Lager ist übervoll und immer mehr schöne Dinge kommen hinzu. Manchmal macht es schlichtweg zuviel Arbeit zwischen Tausenden von Gläsern die Schönen und Guten heraus zu suchen, oder zwischen Stapeln von Leinentuch und Stoffen, die Makellosen heraus zu finden.  

Es gibt auch schwer veräußerbare Dinge, die Mirko weit unter Preis an Spezialisten weitergibt, die eher einen Kunden finden.

Der Entrümpler arbeitet mit einem Antiquariat zusammen, das ihm sämtliche Bücher abnimmt und angemessene Preise zahlt. Auch hier herrscht ein gutes Vertrauensverhältnis.

Porzellan übernimmt eine professionelle Händlerin und holt das zerbrechliche Gut ab.

Ein Historiker interessiert sich für Geschichten aus den Weltkriegen und kauft entsprechende Unterlagen und Gegenstände ab. Auch er arbeitet seriös und archiviert mit Feingefühl.

Manche Dinge werden von Hobbyentrümplern übernommen, die sich damit auf Flohmärkten platzieren.

Eine Gruppe afrikanischer Exporteure kauft Elektrogeräte und verschickt sie in die Heimatländer.

Eine Kostümbildnerin übernimmt Stoffe. Manche Stücke tauchen in Museen und Schlössern wieder auf. Briefmarkensammler gehören zu regelmäßigen Abnehmern.

Der eigene Stand auf dem Flohmarkt ist die letzte Instanz, um Reste zu verkaufen, Kontakte zu pflegen und Eigenwerbung zu betreiben.

Entrümpler sind Experten der Weiterbildung

In feinem Zwirn durchkämmt Mirko Fachmessen. Er ist auf der exotischen Füllfederhaltermesse  genauso heimisch wie bei Briefmarken- und Porzellanmessen. Er schult seinen Blick für Händler und Sammler, die an seinen Stücken Interesse zeigen könnten. Nur so lässt sich im Glücksfall ein Mont Blanc Füller für mehrere Hundert Euro an den Liebhaber bringen anstatt ihn weit unter Wert auf dem Flohmarkt oder bei Ebay zu verkaufen. 

Manchmal ist er auch ein Schauspieler, der in die Rolle potenzieller Kunden schlüpft und eine Gratisschulung zu besonderen Wertsachen erhält.

Er eignet sich Wissen an, um kostbare Stücke in ihrem Wert zu steigern, zu verschönern und herauszuputzen. Am Ende werden sie wertgetreu verkauft, wie er es nennt.

Bei großformatigen Gegenständen wie einem verstimmten Klavier aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert stellt sich die Frage, ob eine Einlagerung sich lohne (bis die wirtschaftliche Lage sich erholt), oder ob man es lieber schnell und günstig abgibt. Dafür muss man den Wert der Ware möglichst genau kennen und die Möglichkeiten der Vermarktung.

Entrümpler sind Pendler zwischen den Welten der Armen und Reichen

Dort, wo Hausangestellte noch Schürzen und Hauben tragen, wo das Geld vor Generationen gewinnbringend angelegt wurde und Reichtum nicht der Rede wert ist, sondern eine Selbstverständlichkeit, hat unser Entrümpler ein Lager in einer alten Scheune. Diese gute Adresse ist oft die Eintrittskarte zu Ankäufen wertvoller Möbel in der Nachbarschaft. Wer sich dort verändern und seine Einrichtung anpassen möchte, der verkauft sein gebrauchtes Mobiliar. Für Mirko ist es selbstverständlich bei Hausbesuchen entsprechend gekleidet zu sein und sich gewählt auszudrücken. Es sind schließlich Gegenstände voller Erinnerungen, die von den Besitzern in gute Hände abgegeben werden wollen.

Entsprechendes Auftreten ist ihm selbstverständlich. „Kleider machen Leute, der Ton macht die Musik, Klappern gehört zum Handwerk“, sagt Mirko, dem die einfachen Leute, die Mittellosen und Unangepassten jedoch näher sind.

Viele seiner Kollegen tun sich schwer im Umgang mit dem Bürgertum. Das Gleiche gilt für die Präsentation der Ware im Internet bei Ebay oder anderen Kleinanzeigern. Fehlerfreie und aussagekräftige Texte erhöhen die Verkaufschancen.  

Mirko ist ein Lebenskünstler

Künstler pflegen zumeist ein unkonventionelles Leben. Unser Entrümpler ist durch seinen Beruf quasi zum Selbstversorger geworden. Von der Kleidung über die Möbel bis zu einem Großteil seiner Vorräte inklusive exotischer Gewürze und hochwertiger Tees stammt alles aus Haushaltsauflösungen.

„Ich bin kein materieller Typ, aber ich erkenne den Wert der Sachen.“

Mirko weiß um die exakte Herkunft aller Gegenstände in seinem kleinen Haushalt. Er unterscheidet zwischen seinen eigenen Sachen, die er sich gekauft oder geschenkt bekommen hat und den Dingen aus Haushaltsauflösungen. Dabei weiß er auch nach Jahren noch, was aus welcher Auflösung stammt. Manchmal erkennt er es am spezifischen Geruch, den ein Gegenstand trägt.

„Das kommt aus der großen Auflösung in der Eppendorfer Landstraße.“

Sein Beruf bringt es mit sich, dass der Konsumkritiker viel zu viele Dinge besitzt.

„Es ist schon seltsam: Ich will keine Sachen haben, aber meine Bude ist voll davon. Unsere Welt ist voll davon.“

Mirko ist in seinen Beruf hineingewachsen. Bei einer Anstellung in einem normalen Betrieb könnte er seine Kreativität und Vielseitigkeit kaum ausleben. Einen Chef vor der Nase zu haben. Erscheint ihm undenkbar.

Und so verbirgt sich hinter dem unangepassten muskulösen Mann, ein - auf sehr spezielle Weise -seriöser und erfolgreicher Angehöriger eines verkannten Berufes. Seine berufliche Laufbahn ist so vielfältig wie seine Lebenserfahrung. Er hat als Kindergärtner, Alten-  und Krankenpfleger, Behindertenassistent, Tischler, Gärtner und Roadie gearbeitet. Nirgends hat er es auf Dauer ausgehalten. Vorgegebene Strukturen und Zeitabläufe sind nicht nach seinem Geschmack.

Schon als Kind ist er über den Sperrmüll gegangen und hat seine Fundstücke auf Flohmärkten zum Verkauf angeboten. Bis heute kommt er an keinem Speermüllhaufen vorbei. Leider ist diese Form der Entsorgung in den meisten Städten abgeschafft worden.

Er ist in seinen Beruf hinein gewachsen. Als Altenpfleger in einem Wohnheim hat er sich wie selbstverständlich um die Hinterlassenschaften der Verstorbenen gekümmert.

Und mit seinen behinderten Klienten war er regelmäßig im Recyclinghof, um nach Brauchbarem für ihre Einrichtung zu schauen.

Überraschend wirkt die Tatsache, dass Mirko keinen Führerschein und kein Fahrzeug besitzt. Aber auch das sieht er nur als lösbares logistisches Problem. Willie ist immer dabei, wenn es darauf ankommt.

Mirko und Willie haben einen guten Ruf in der Szene. Werbung in Anzeigenblättern oder Telefonbüchern haben sie nicht nötig. Ihnen genügt Mund-zu-Mund Propaganda, eine Erbrecht-Juristin und ein Bestatter, die ihnen regelmäßig Aufträge vermitteln.

Das Buch „Der Entrümpler“ wird in der Ichform und überwiegend aus der Gegenwartsperspektive erzählt. Mirko‘ Gedanken, Erlebnisse, Beobachtungen, Einschätzungen und Schlussfolgerungen fließen ebenso in den Text hinein wie Dialoge mit Auftraggebern, Hinterbliebenen, Kunden und Händlern.

Mirko nimmt den Leser mit in die Haushalte und auf die Märkte.

Er gibt Einblicke in Lebensfragmente, Tagebücher, Dachböden und Schatztruhen.

Es gibt Geschichten, die Mirko über Jahre verfolgen. Manche seiner Kisten sind noch prall gefüllt mit Puzzlesteinen.  

„Diese Menschen verschwinden aus unserer Welt. Ihre Geschichten und Hinterlassenschaften sollen weiterleben“, sagt er und man fühlt seine Überzeugung aus jedem Wort.

Bruni Prasske

Die Entrümpler

Was Dachböden und Kellerregale über das Leben erzählen

Die Entrümpler
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