Bruni Prasske
Immer noch träume ich von Deutschland Reise in ein Leben zwischen Deutschland und Vietnam Sachbuch Das Buch ist 2011 unter dem Titel |
|
Eigentlich sucht Bruni Prasske nur einen ortskundigen Stadtführer in Saigon, der Englisch spricht. Doch was sie stattdessen erlebt, ist einzigartig: Sie trifft Dien, den Rollstuhlfahrer mit dem Jackie-Chan-Charme, dem umwerfenden Lächeln - und den perfekten Deutschkenntnissen! Sein Schicksal als vietnamesisches Kriegskind, das in Hamburg aufwuchs - und dann zurückmusste in eine Heimat, die keine mehr war, lässt sie nicht mehr los. Die beiden beschließen gemeinsam zu reisen, gemeinsam Diens unbekannte Heimat zu erforschen! Täglich warten neue Herausforderungen in diesem Land, in dem Straßen keine Selbstverständlichkeit sind und Behinderung als Strafe Gottes angesehen wird. Es ist ein abenteuerlicher Trip, und die beiden ungleichen Weggefährten kommen sich näher ... Vorwort aus dem Buch Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, als wir uns zum ersten Mal begegneten. Es war an einem der letzten Tage im Jahr des Hundes. Die Straßen Saigons waren Anfang Februar 2007 für das kommende Jahr des Schweins geschmückt. Ich wartete unter dem schützenden Dach einer Suppenküche. Auch wenn ich nicht wusste, wie er aussah, so konnte ihn trotzdem nicht verfehlen, denn Dien sitzt im Rollstuhl. Diese Verabredung war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und der Auftakt einer unvergesslichen Reise durch die Vergangenheit und durch ein rätselhaftes Land. Ich freute mich auf den Mann, der mich am Telefon mit seinem makellosen Deutsch beeindruckt hatte. Dien hatte einige Jahre seiner Kindheit als Opfer des Vietnamkrieges in Deutschland verbracht. Mehr wusste ich nicht über ihn. Er würde mir Saigon zeigen, so war unsere Abmachung. Ich war nach Vietnam gekommen, um das Land kennen zu lernen und an einer Geschichte über ehemalige Vertragsarbeiter aus der DDR zu arbeiten. Doch die Begegnung mit Dien änderte alle Pläne. Schon nach wenigen Stunden hatte er seine Fremdheit verloren und nach einigen Tagen war er mir bereits seltsam vertraut. Diens Lebensgeschichte und sein Lebensmut haben mich von Beginn an beeindruckt. Im Frühjahr 2007 blieb uns nur eine Woche für ein erstes Kennenlernen. Doch schon bald nach meiner Heimreise hatte ich den Wunsch ein Buch über ihn zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welchen Mut und welche Kraft es ihn kosten würde, seine Geschichte zu erzählen, sich meinen Fragen zu stellen, sich zu offenbaren, Scham zu überwinden und sich auf ein Abenteuer einzulassen. Ich hatte keine Erfahrung mit Querschnittsgelähmten und war neugierig und unsicher. Im September und Oktober reisten Dien und ich dann gemeinsam durch Vietnam. Wir wandelten auf den Spuren seiner Vergangenheit und auf den Pfaden der Reiselust und Neugier, des Vergnügens und der unbändigen Freude. Wir ließen uns treiben und locken, quälten uns mal auf seinem dreirädrigen Moped über die berüchtigte Nationalstraße 1A und dann wieder auf entlegenen Pisten, ließen uns durch das Wasserlabyrinth des Mekong-Deltas schaukeln, lagen an weiten Stränden, genossen die Lichter am Thu Bon Fluss und die Sehenswürdigkeiten von Hoi An. Im chaotischen Saigoner Verkehr wurden wir nicht selten selber zur Attraktion. Mit mir musste Dien täglich aufs Neue körperliche, seelische und moralische Grenzen überwinden und sich immer stärker auf die Ideen und Wünsche einer Langnase einlassen. Während ich Diens Geschichte aufschrieb, standen wir fast täglich über unsere Frühstücksmails in Kontakt. Aufgrund der Zeitverschiebung zwischen Deutschland und Vietnam erreichten ihn meine am Abend geschriebenen Mails zum Frühstück und seine Antworten waren morgens auch meine erste Nachricht im Postfach. Dien war ein aufmerksamer Leser der einzelnen Kapitel, und in unseren stundenlangen Telefonaten habe ich mich nah bei ihm gefühlt, habe manches Mal sein Lachen oder sogar seine Stimme unter Rührung versagen gehört. Über fast zehntausend Kilometer hinweg konnte ich die Fahrradglocke des Nudelverkäufers auf der Straße vor seiner offen stehenden „Wohngarage“ läuten hören. Ich war dabei, wenn die Nachbarskinder spielten und der Hund von nebenan kläffte. Dien ist auch in Saigon immer eng verbunden mit Deutschland. Wenn ich ihm mitteilen will, wie das Wetter in Hamburg ist, dann weiß er es zumeist schon. In Hoi An, einer alten Hafenstadt am Südchinesischen Meer sagte er einmal zu mir: „Die Straßen von Husum an der Nordseeküste sagen mir mehr! Sie sprechen zu mir! Diese Gassen mit ihren Pagoden und Handelshäusern schweigen mich an.“ So ist Dien! Immer noch träumt er von Deutschland. Ich habe versucht, Diens Geschichte in eine Form zu bringen, die seinen Erlebnissen, Gefühlen, Gedanken und Hoffnungen gerecht wird und trotz aller Fülle immer noch zwischen zwei Buchdeckel passt. Dafür habe ich aus seinen Lebenserinnerungen und aus unseren gemeinsamen Erlebnissen auswählen müssen. Manche Begebenheit musste unerwähnt bleiben und manche Person, der ich gern mehr Raum gegeben hätte, wird hoffentlich nicht traurig über die verkürzte Darstellung sein. Es sind Diens Erinnerungen. Die Erinnerungen eines wunderbaren und vor Lebensmut strotzenden Mannes im Rollstuhl, der einst ein kriegsverletztes vietnamesisches Kind in Deutschland war. Manche seiner Erinnerungen decken sich möglicherweise nicht mit den Erinnerungen seiner Zeitgenossen. Manche Personen, die in diesem Buch auftauchen, leben nicht mehr, zu anderen gestaltete sich die Kontaktaufnahme schwierig. Manche reagierten nicht auf Nachfragen, andere hatten vielleicht mit bestimmten Aspekten der Vergangenheit abgeschlossen. Manche Namen sind aus Rücksichtnahme verändert. Dieses Buch erzählt die Geschichte einer wunderbaren Reise durch ein fremdes Land. Und es berichtet über das Geschenk einer großen Freundschaft. |
|
|
|